Reise
durch Moldawien und Transnistrien
oder
„Give-me-five“
Ein
Rückblick von Monika Puhlemann
9.9.2017
Als
wir, Hertha, Volker und ich,
am
frühen Morgen in Richtung Flughafen München fuhren, lag bereits ein
kühler Nebel über den bayrischen Feldern.
Doch
als wir gegen 12 Uhr mittags in Moldawiens Hauptstadt Chisinau
landeten, erwarteten uns hochsommerliche 28 Grad mit einer
Regenwahrscheinlichkeit von null Prozent.
Schnell
fand sich unsere kleine Reisegruppe zusammen und so scharten wir uns
erwartungsvoll um Andreas. Er sollte uns in den nächsten sieben
Tagen durch dieses fast vergessene Land im Süden Europas führen.
Einer fehlte allerdings noch. Geduldig schauten wir auf die
nachfolgend aus dem Bauch der Ankunftshalle schlüpfenden Passagiere.
Er
war nicht dabei.
Dann
machte sich Andreas auf die Suche und wurde schließlich fündig.
Auf
einer uns abgewandten Bank saß er und wartete. Unser Uwe! Jetzt
konnte die Fahrt beginnen. Im weithin sichtbaren Hotel Cosmos fühlte
ich mich zu meinem großen Wohlgefallen zurückversetzt in die 70er
Jahre. Kurz erfrischt, erschienen alle zum ersten Stadtgang, der uns
zum hiesigen Bahnhof führte, einem Prunkbau aus der Sowjet-Ära mit
stattlichen Marmortreppen, Granitsäulen, einem Aquarium sowie einem
Arrangement aus üppigen Topfpflanzen. Die Bänke der Wartenden sind
auf kahle Wände ausgerichtet. Für mich unverständlich, wo man sie
doch einfach nur hätte umdrehen müssen, um die ganze Schönheit der
prächtigen Halle betrachten zu können. Der Bahnsteig ist endlos
lang und schien ausgestorben. Einzig die vielen Blumenampeln bewegten
sich im seichten Wind.
Manchmal
geht angeblich ein Zug ins Nachbarland, aber wann?
Auf
dem Weg zum gemeinsamen ersten Abendessen überquerten wir den Platz
am Denkmal für „Mutter Heimat“ und besuchten die hellblaue
orthodoxe Kathedrale, deren goldene Zwiebeltürme in der Abendsonne
erstrahlten. Weiter ging es auf dem Stefansboulevard. Hier kamen uns
zwischen den typischen Stalinbauten mehrere farbig bestäubte junge
Chisinauer entgegen. Zuerst waren wir verwundert, dann aber nahmen
wir die geräuschvollen Klänge einer Popband wahr und sahen diese
vielen tausend Menschen auf dem Platz der Nationen mit seinem, an
Paris erinnernden Triumpfbogen. Alle hatten sich, anlässlich
des Festes der Farben, mit bunten Pulvern beworfen. Ein Schwall von
fröhlicher Ausgelassenheit schlug uns entgegen. Ehrlich, soviel
lockere Ungezwungenheit hätte ich nicht erwartet. Um so besser!
Im Rhythmus der Musik näherten wir uns unserem Ziel.
Der
Tisch war schon gedeckt in einer Art Raucher-oder Kaminzimmer mit
alten Möbeln, das Essen war durchwegs schmackhaft, allerdings
schwächelte die Kellnerin bei der Bezahlung zu Herthas Ungunsten.
Nach einigem guten Zureden konnte der Fehler dann doch noch
korrigiert werden.
Zurück
ging es mit dem O-Bus, drei Stationen auf einer der weitverzweigten
Linien direkt bis zu unserem Nachtquartier.
10.09.2017
Das
erste Frühstück nach einer harten Nacht.
Statt
Lattenrost, Bretter pur. Bei jeder Bewegung ertönte ein
gewöhnungsbedürftiges Lattenkonzert in allen Tonlagen unter mir.
Gleich
am Eingang des futuristisch-sozialistisch anmutenden Raumes wurden
die Hotelzimmerzettelchen von einer strengen, nicht zu übersehenden
weiblichen Aufsichtsperson kontrolliert, die sich später als
umsichtig, freundlich und hilfsbereit erwies. Dann begann das
Begutachten des Büfetts. Ich glaube, ein jeder wurde mit dem Angebot
zufrieden gestellt, zumal alles von frischer Qualität war. Es gab
Schafskäse, Tomaten, Gurken, Krautsalat, Wurst und Würstchen, Käse,
Eier, Milchbrei, Blinis, Warenikis, Süßes, Brot... und einen
wirklich guten Kaffee aus der Maschine. Das war mehr als ich erwartet
hatte. Das Büfett wurde laufend aufgefüllt, und sobald nur ein
kleiner Kaffeefleck sichtbar wurde, ward er schon weggewischt.
Diese
Aufmerksamkeit war schon angenehm!
Heute
lernten wir unseren Fahrer Tudor kennen. Er wartete bereits vor dem
Hotel mit seinem recht neuen Kleinbus, gerade richtig für uns 15
Personen. Tudor hatte seinen Führerschein als Sowjetsoldat in den
80er Jahren in der ehemaligen DDR gemacht.
Jeder
suchte sich nun einen oder besser seinen Platz, aber los ging es noch
nicht. Wer fehlte, war der Praktikant. Er soll ab 2018 als
Reiseleiter die Gruppen durchs Land führen. Erst nachdem er
telefonisch an uns Wartende erinnert wurde, kam auch er mit wehendem
Hemd und langen Rasterlocken. Die Erklärung war so kurz wie seine
Nacht:
Disco,
Frau, Hund. Aber, er war da! Nun konnte es losgehen. Anton schlief
weiter und wir schauten gespannt auf das geschichtsträchtige Land,
das uns heute bis in die Steinzeit zurückführen sollte. Zuvor aber
erhob Reinhard seine Stimme. Er hatte in seinem Smartphone gefühlte
500 Witze gespeichert und jeden Morgen beglückte er uns in gekonnter
Weise mit einigen oder auch mehreren während der Fahrt. Wie ich
fand, ein schöner Auftakt! Häufig lagen wir lang vor Lachen. Der
historische Komplex Orheiul Vechi umfasst drei Ansiedlungen und
könnte die Wiege Moldawiens sein. Der mäandernde Fluss Raut grenzt
an das dazugehörige kleine Dorf Butuceni mit seinen vielen
Schöpfbrunnen. Diese sahen wir übrigens auf all unseren Touren
durch ländliche Gefilde. Meistens waren sie mit Verzierungen
versehen oder auffallend farbig gestaltet. Natürlich durften wir
probieren, das Wasser war klar, kühl und sehr erfrischend. Bei
unserem Spaziergang fielen die entzückenden Hoftore und Gartentüren
ins Auge, liebevoll bemalt, so wie es die Tradition vorsah.
Durch
den Garten des musealen Bauernhauses ging es bergauf zum
Höhlenkloster Bosie, das etwa 50 Meter über dem Fluss in einer
Felswand errichtet wurde und nur durch einen Höhlengang erreichbar
war. Hier befanden sich eine kleine Kapelle, einige Mönchsklausen
und ein Felsvorsprung als Balkon mit Weitsicht über die
spätsommerliche Landschaft. Dieses Minikloster wird nur von einem
Mönch bewohnt, der auch den Kerzen- und Souvenirverkauf innehat.
Langsam
wurde es heiß. Die Sonne knallte vom Himmel. Andreas gab uns noch
einen ausschweifenden Rückblick in die Moldawische Historie, dann
wanderten wir oberhalb des Flusses über das hügelige Gelände zum
Ort Trebujeni. In der Villa Roz war schon der lange Tisch gedeckt.
Miit Hauswein und Wasser aus Karaffen stillten wir unseren Durst,
dann folgten eine kräftige Hühnersuppe, Maismamas mit gebratenen,
knallgelben Rühreiern, die ihre kräftige Farbe durch die Fütterung
mit Mais erhielten. Die gerollten Eierkuchen mit Kirschen und einer
köstlichen Vanillesoße waren eine äußerst gelungene Nachspeise.
Zwischendurch wurden immer wieder Häppchen mit regionalen Leckereien
auf dem Tisch platziert. Ich glaube, es blieb nichts übrig. Ein
wunderbares, ausgelassenes Essen verbunden mit Entspannungsphasen im
angrenzenden Rosengarten sowie einer Hängematte, in der irgendwann
der liebe Anton landete.
11.09.2017
Schon
am frühen Morgen verabredete sich Andreas mit einige
Heinzelmännchen, um auf dem regionalen Wochenmarkt Leckereien für
später einzukaufen.
Unser
heutiges Ziel war der Grenzfluss Dnister, in dessen Kalksteinfelsen
das alte Kloster Tipova gehauen wurde. Die Höhlen dienten ab dem 11.
Jahrhundert den muslimischen Tataren als Rückzugsort, später lebten
hier orthodoxe Mönche. Der Abstieg zu dem Kloster war nicht ganz
einfach, ein steiler Gang führt unwegsam hinab, häufig fehlen an
den Treppenstufen Steine oder Löcher taten sich auf. Geländer sind
selten vorhanden, und wenn, dann machen sie einen recht hinfälligen
Eindruck. Hinzu kam die gnadenlose Hitze, die sich besonders beim
späteren Aufstieg bemerkbar machte. Über den Fluss konnten wir weit
ins unbekannte Land Transnistrien schauen. Für mich sah es ebenso
aus wie Moldawien. Oberhalb des Felsens stand eine zum Kloster
gehörende kleine Kirche, die den hiesigen Dorfbewohnern als Bet-,
Hochzeits- und Taufstätte diente. Ich glaube, irgendwie war jeder
froh, als er in dem neben der Kirche wartenden Bus wieder Platz
nehmen konnte.
Ein
Picknick war geplant, nur der richtige Ort musste noch gefunden
werden. Tudor fuhr mit uns suchend auf Feld- und Wiesenwegen durchs
Gebüsch. Dann hatten wir Glück. Am Rande des Dnister unter
schattigen Bäumen wurden all die Köstlichkeiten ausgebreitet,
Wasser, Wein und Weinbrand sollten nicht fehlen. Anton zog seine
Badehose an und schwamm bis zur Mitte des Flusses, dort begann
Transnistrien. Brav kam er wieder zurück, übergab seine Badehose an
unseren Reiseleiter und auch er genoss das kühle Nass.
Wir
hingegen tranken noch ein Becherchen....und noch ein Becherchen...und
ja, noch ein drittes Becherchen.
Den
entspannten Blick gerichtet auf das fließende Wasser, den spärlichen
Grenzverkehr über die nach Transnistrien führende Brücke sowie die
bunten Hochhäuser auf der anderen Seite.
Das
Aufstehen fiel schwer, lieber hätte ich ein kleines
Mittagsschläfchen gehalten, aber wir hatten noch etwas auf unserem
Tagesplan:
Das
Kloster Saharna mit seiner Winter- und Sommerkirche. Zu Sowjetzeiten
wurde die Anlage geschlossen, das Inventar weitestgehend zerstört
und kurzerhand eine Klinik für psychisch Gestörte eingerichtet.
Vermutlich spielte das von einem Bergbach gefüllte Wasser- und
Taufbecken im Walde eine nicht unerhebliche Rolle bei den
kommunistischen Therapieformen.
1991
erfolgte eine Rückführung, seitdem ist die Dreifaltigkeitskirche
wieder ein Zentrum der Orthodoxen Gläubigen im Nordosten Modawiens.
Auf
dem Rückweg zum Hotel fuhren wir durch ausgedörrte
Sonnenblumenfelder und Garben aus Maisstroh. Diese kleinen, trockenen
Häuschen auf den Äckern erinnerten mich sehr an die 50er Jahre, wo
wir als Kinder gerne darin spielten.
Bevor
sich jeder auf sein Zimmer zurückzog, tranken wir noch ein kühles
Chisinauer Bier unter der Tanne des kleines Kiosk’s gegenüber des
Hotels. Es duftete nach Fichtennadeln und unsere Gespräche über
„Gott und die Welt“ ließen den Tag ausklingen.
12.9.2017
Gagausien
war ein autonomer Teil im Süden Moldawiens mit gleich drei
anerkannten Amtssprachen: Gagausisch, Russisch und Ukrainisch.
Aufgrund
der optimalen klimatischen Bedingungen wachsen hier die besten
Weinstöcke, aber auch der Obst- und Gemüseanbau verspricht hier
reiche Ernten.
In
dem Dorf Besalma, übersetzt „Fünf Äpfel“, hatten wir die
Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Die kleinen Schüler
betrachteten uns mit großen Augen und wir freuten uns, einmal einen
Blick in das Klassenzimmer einer Grundschule werfen zu können.
Erstaunlich, dass hier der Lehrstoff bereits via Beamer vermittelt
wird. Irgendwie berührt, zweigte jeder von uns etwas von seinem
Reisebudget ab und so konnten wir einen kleinen Beitrag leisten für
den Einkauf von Spiel- und Bastelmaterial. Auf der Straßenseite
gegenüber wartete bereits die Tochter des verstorbenen
Museumsgründers auf uns. Sie gab einen ausführlichen, ja fast schon
minutiösen Einblick in die Geschichte Gagausiens. Dazu waren in den
vier Ausstellungsräumen viele Artefakte, in der Steinzeit beginnend,
zu bestaunen. Draußen schien die Sonne. Und so war es schön, dann
doch endlich wieder an der frischen Luft laufen zu können, hinüber
zu der alten Windmühle, die auf einer Anhöhe oberhalb des Dorfes
stand.
Der
Rückweg führte uns in den Garten einer alten Bäuerin, die ihn uns
nicht ohne Stolz präsentierte. Das Gemüse spross beeindruckend und
die Obstbäume hingen voller Früchte. Die Vorratshaltung fand in dem
vom Hof aus begehbaren Keller statt. Hier lagerten bereits die
Winterkartoffeln, Eingewecktes in großen Gläsern stand auf dem
Boden oder in den Holzregalen, davor lagen Kürbisse, Melonen, Birnen
und Rüben. Das Allerbeste aber waren die beiden
200-Liter-Weinfässer. Dicht gedrängt saßen wir zu viert auf dem
alten, eisernen Kinderbettgestell, ein dickes Schafsfell schützte
uns vor den rostigen Sprungfedern.
Wer
neben der stolzen Landwirtin und ihren Nachbarinnen stand, musste
wohl den Kopf etwas einziehen, denn der Raum war nicht sehr hoch.
Zum
Trinken gab es nur ein Wasserglas. Jeder kam mal dran. Der rote Wein
war süffig. Hertha und ich lachten schon nach den ersten Schlucken
kräftig und die Welt bekam eine leichte und sehr willkommene
Schieflage. Lediglich der liebe Uwe war außen vor. Er lechzte dem
vollen Glase nach, das die Chefin in der Hand hielt und einfach zu
langsam leerte. Dann begann er seinen Unmut darüber zu äußern und
dachte sich eine List aus. Er versprach der Bäuerin, sie im nächsten
Leben zu ehelichen. Das war ein kluger Schachzug, denn das Glas
wanderte nun auch zu ihm. Als Dank folgten Umarmungen, Komplimente
und eine spitzenmäßige gute Laune im Kellergewölbe. Nur die böse
Nachbarin versprühte etwas Unbehagen, sie verließ dann gottseidank
den Ort der Wonnen.
Auf
kleinen Hockern hatte die Hausherrin Brotstücke, Tomaten und
Schafskäse bereitgestellt. Und das war auch gut so, bei dem ständig
kreisenden Becher!
Zum
Abschied hielt Uwe seiner potenziellen Braut die flache Hand hin
„Give-me-five“ sagte er. Deutlich sahen wir die großen
Fragezeichen in ihren Augen. „Give-me-five“ wiederholte Uwe, sie
aber schaute nur verwundert auf die Innenfläche seiner Hand. Was
wird die arme Frau wohl gedacht haben? „Give-me-five“ war
vermutlich recht weit entfernt von ihrem Leben.
Die
Sonne blendete, als wir aus Bacchus Gefilden heiter hervorstiegen. Im
Hof folgten dann Umarmungen, verbunden mit spontanen Abschiedsküssen,
sowie ein letztes
„Doswidanja“.
Eine
wunderbare Begegnung, die ich wohl nie vergessen werde!
13.09.2017
Heute
ging es schon zeitig los, eine Strecke von 160 Kilometer bis nach
Soroca, am Dnister gelegen, waren zu bewältigen. Bei einer maximal
erlaubten Geschwindigkeit von 90 – 100 kmh sollten wir das in
etwa zwei Stunden schaffen, hinzuzurechnen waren aber allerdings die
Pipi- und Eispausen an den Tankstellen.
Der
sich durch die Landschaft schlängelnde Fluss trennte auch hier
Moldawien von dem stark russisch geprägten Transnistrien, das erst
1990 seine „Quasiunabhängigkeit“ erlangte, allerdings von keinem
Staat der Welt je anerkannt wurde.
Die
Wartezeit auf unseren deutsch sprechenden Burgführer vertrieben wir
uns mit einer Wanderung entlang der Uferstraße. Unser Interesse
folgte den hiesigen Gartenbauarbeitern, die mit schweren Maschinen
einen Baum zu entwurzelten versuchten und dabei die Grenzmauer
einrissen. Derweilen legte von der gegenüberliegenden Seite die
rostige Drahtseilfähre ab, die im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs
Anwohner von hüben nach drüben brachte.
Die
kreisrunde Festung wurde Mitte des 16. Jahrhunderts von Handwerkern
aus Transsilvanien errichtet. In der Burg lebten damals nur Soldaten,
allerdings fanden in Kriegszeiten auch Anwohner hier Zuflucht.
Inmitten des Burghofes stand ein Brunnen. Der Sage nach
versorgte
ein weißer Storch die hungrigen Verteidiger mit Weintrauben. So
sollen sie überlebt haben. Der Storch ist noch heute ein
Glückssymbol, das einem in dieser Gegend hin und wieder begegnet.
Interessanterweise
ist Soroca die Hauptstadt der Moldawischen Zigeuner. Sie bewohnten
ein Gebiet auf den Hügeln über der Stadt. Hier oben standen
unglaubliche Paläste und großtuerische Villen, allesamt leer oder
nur teilweise bewohnt, vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil die
Häuser Bauruinen glichen und bereits vor der Fertigstellung
verrotteten. Irgendwie war ich enttäuscht, hatte ich doch ein
quirliges Zigeunerleben erwartet mit Musik und lästig bettelnden
Kinderbanden sowie laut kläffenden Hunden. Anton hatte Glück, er
konnte sich mit einem Streuner anfreunden, der ihm brav
schwanzwedelnd hinterherlief.
Eine
alte Zigeunerin trat durch ein opulentes Eisentor zu uns auf die
Straße, schade, ohne Glaskugel und gezinkte Spielkarten. Sie
interessierte sich einfach für die emsig fotografierenden Touristen.
Ansonsten
waren kaum Einwohner zu sehen. Ich hatte den Eindruck, wir würden
uns in einer Geisterstadt befinden.
Die
Turmbesteigung am Ortsausgang ersparte ich mir. Ich war einfach zu
faul, bei den Temperaturen die über 650 Stufen nach oben zu steigen,
um von dort herunter zu schauen.
Trotzdem
galt den zurückkehrenden, emsigen Aufsteigern meine geheime
Bewunderung.
14.09.2017
Gleich
morgens Passkontrolle am Bus. Andreas schaute sicherheitshalber, ob
auch keiner seinen Reisepass vergessen hatte, denn wer nach
Transnistrien will, es liegt zwischen Moldawien und der Ukraine, muss
ein „Visum“ oder besser, einen gut aufzubewahrenden
Einreisezettel bekommen.
Die
Grenzformalitäten liefen zügig, so dass wir bald an dem
Kassenschalter einer Wechselstube standen und unsere Rubel, zum Teil
als Plastikgeld in Empfang nahmen.
Tiraspol,
die Hauptstadt Transnistriens, ist sehr sowjetisch geprägt.
Aufgefallen sind vor allem die extrem sauberen Straßen und Plätze,
ein reger O-Busverkehr und die Propagandatafeln von „Sheriff“.
„Sheriff“ ist das landesweit größte Privatunternehmen, der Name
rührt von den beiden Unternehmern, die Anfang der 90er bei der
Polizei tätig waren. Ihnen gehörten mittlerweile Tankstellenketten,
Supermärkte, Fernsehsender, ein Verlagshaus, eine
Wohnungsbaugesellschaft, eine Werbeagentur, zwei Großbäckereien,
eine Likörfabrik und die ansässige Mercedes-Benz-Niederlassung.
Aber Sheriff ist auch der einzige Mobilfunkbetreiber des Landes und
für die Fußballmannschaft spendierte Sheriff ein attraktives
Stadion für 200 Millionen Dollar.
Kurz
gesagt, ohne Sheriff läuft hier gar nichts.
Ohne
Falk begannen wir unsere Stadtbesichtigung. Er ging uns bereits zu
Anfang auf dem Heldenfriedhof verloren. Andreas, Anton und Tudor
hatten alle Hände voll zu tun, ihn wieder zu finden. Nach ein paar
Stunden kam dann die glückliche Nachricht: Falk war wieder da. In
dieser verkehrsarmen Stadt konnte Tudor ihn irgendwann irgendwo
wieder aufgreifen.
Pech
dagegen hatte Anton. Auf der Suche nach dem Verschollenen hatte er
auf der anderen Straßenseite einen Verkehrspolizisten gesehen.
Schnell überquerte er auf dem kürzesten Weg diagonal die autofreie
Straße und begann sofort das Vermisstenthema anzusprechen. Der
Ordnungshüter hingegen wollte erst einmal ein anderes Problem
klären. Anton hatte nämlich beim Überschreiten der Straße den
Zebrastreifen nicht benutzt und das schlug für ihn mit 250
transnistrischen Rubeln Bußgeld zu Buche. Auweia! Doch nun hatte
Anton wiederum Glück. Mit seinen guten russischen Sprachkenntnissen
konnte er dem Vertreter der Staatsmacht gut zureden. Der ließ sich
dann erweichen und die Verfehlung kostete „nur“ noch 50 Rubel.
Zwischenzeitlich
erreichten wir die riesige Markthalle der Stadt. Hier läuft alles in
ordentlichen Bahnen. Es gibt einen offenen Verkaufsbereich für Obst-
und Gemüse, daneben Extrahallen für Fleisch, Fisch und
Milchprodukte. Alles war peinlich sauber und strotzte vor
appetitlicher Frische. Digitale Waagen hingen frei zugänglich an
einigen Stellen, hier kann der Kunde das Gewicht seiner Ware
überprüfen. An einem Imbissstand verschnauften wir und ich
probierte die leckeren, regionalen Fischhäppchen. „Mmm!“ ...bis
auf die Gräten. Absolut grätenfrei und wahrlich köstlich waren die
vielen Kuchenvariationen und Kaffeesorten, die wir auf unserem
weiteren Weg in einem Stadtcafé mit Blick auf das örtliche Treiben
genossen.
Interessant
für viele war auch der Besuch des Studentenwohnheimes der einzigen
Universität. Die spontane Führung umfasste die
Gemeinschaftsduschen, den Kochbereich, mit einem Herd sowie die
einfachen Unterkünfte mit Sicherheitshinweisen in den Fluren. Sicher
sind nicht vergleichbar mit unserem Standard, jedoch fand ich die
Unterkünfte für die hiesigen Verhältnisse gar nicht schlecht.
Dann
ging es mit dem Bus weiter über Land in ein Dorf, dessen Name ich
vergessen habe. Hier gab es eine starke kulturelle Gemeinschaft. Um
das schöne Kulturhaus herum standen viele Skulpturen in einem
parkähnlichen Garten, darunter „Der erste Traktor“. Leise
betraten wir das Foyer, von irgendwoher ertönte Akkordeonmusik.
Vorsichtig öffneten wir die Tür zum Theatersaal, hier schlug uns
nur eine stille Dunkelheit entgegen. Aber woher kamen die Klänge?
Sie drangen aus einem schmalen Seitenraum. Hier saß ein heimischer
Musiker vor einem alten Computer und übte auf seinem Akkordeon eine
Melodienfolge ein. Und wie nett, er winkte uns herein, wir setzten
uns und er spielte einige Lieder aus seinem Repertoire. Seine Augen
begannen unter unserem stürmischen Beifall zu glänzen und sein
breites bescheidenes Lächeln ließ auch seine goldenen Zähne
erleuchten. Ich war berauscht! Ja, solche Begegnungen sind die
Sternstunden einer Reise. Als unerwarteten Höhepunkt trat unser
Andreas neben den Musikus und sang einige alte russisch-ukrainische
Weisen. Beide zusammen waren ein Duett der ganz besonderen Art...und
das in Transnistrien, dem Absurdistan unserer Zeitepoche.
15.09.2017
Mit
der Besichtigung des weltweit größten Weinkellers stand unser
letzter gemeinsamer Ausflug bevor. Nach etwa einer Stunde Fahrzeit
erreichten wir die Muschelkalkhöhlen von
Milestii
Mici. Hier lagerten alte, sehr alte, aber auch neuere Weine bei
konstanten 12 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 98 Prozent.
Der Bus brachte uns bis zum unterirdischen Wasserfall eines 50
Kilometer langen Labyrinths aus Straßen, Gassen und Wegen, in denen
unglaubliche Massen an Weinen in Fässern und Flaschen lagern. Gleich
zu Beginn unseres Rundgangs bemerkte Hertha, dass sich ihr Handy
abgesetzt hatte. Sie vermutete, dass es sich immer noch im
oberirdischen Toilettentrakt aufhielt, wo es vermutlich zuletzt in
ihrer Nähe war. Tudor und Hertha gingen auf die Suche und fanden es
nirgends. Dann folgte eine zeitaufwendige Vermisstenanzeige,
währenddessen wir nach der langen Wanderung durch die Weinstraßen
dann den Platz des Verkostens erreichten. Auf dem Tisch warteten
viele leckere Häppchen sowie drei Weinsorten auf unsere neugierigen
Gaumen: ein Weißwein, ein Rotwein und ein Dessertwein. Alle waren
auf ihre Art köstlich und mit einem süffigen „Norok“, was
soviel heißt wie „Zum Wohle“, prosteten wir uns immer wieder zu.
Dann
spielte die Musik auf, die ersten begannen zu tanzen... Wiener Walzer
im Muschelgrund, wenn das nichts ist!
Auch
Reinhard war nicht zu halten und ehe ich mich versah, drehte er mich
im Kreise. Die Schritte waren nach so vielen Jahren plötzlich wieder
da, die Richtung wurde mir dezent ins Ohr geflüstert und der Wein
verlieh mir die nötige Gelassenheit.
Abends
dann war nur noch ein letzter Programmpunkt offen, nämlich ein
gemeinsames Abendessen in einem Moldawischen Traditionsrestaurant.
Die
Auswahl, Bestellung und Zubereitung der Speisen zog sich ewig hin.
Dazu spielte ein Musikalisches Duett seine heimischen Weisen in einer
Lautstärke, die kaum noch Gespräche zuließ. Lediglich in deren
Pausen konnten wir uns ein wenig über die Höhepunkte unserer Reise
austauschen. Für mich war sie außergewöhnlich eindrucksvoll,
verbunden mit vielen ungeplanten Glanzstücken, die wir eindeutig
Andreas zu verdanken hatten. Er hatte uns durch seine teils privaten
Verbindungen und spontanen Einfälle zu unvergesslichen Tagen
verholfen. Ihm gilt mein Dank.
16.9.2017
Der
Vormittag gehörte uns.
Der
einzige Termin war der unseres Abfluges.
Aber
noch war Zeit. Hertha und ich streiften durch einige Kaufhäuser und
Supermärkte. Hier gab es alles, was das Herz begehrt. Doch wer von
den Einheimischen kann sich das leisten! Ein Viertel der
berufstätigen Bevölkerung arbeitet in den Nachbarländern, die
anderen brauchen zwei oder gar drei Jobs zum Überleben.
Beim
Israeli gleich nebenan aßen wir gegen Mittag noch eine Kleinigkeit,
dann schnappte sich jeder seinen Koffer und begab sich zu Tudor, der
wie immer pünktlich mit seinem Bus bereitstand. Auf dem Weg zum
Flughafen verabreichte uns Andreas noch ein kleines Abschiedsbonbon
in Form einer Kirche, die gänzlich aus Holzschindeln zusammengesetzt
war.
Am
Flughafen folgte das herzliche Verabschiedungsritual einer
Reisegruppe, die angenehm, gesellig und zuverlässig war.
Nachtrag:
Zwei
Tage später erreichte Hertha die verblüffende Mitteilung, dass ihr
Handy bei der Moldawischen Polizei abgegeben wurde. Andreas war der
Überbringer der freudigen Nachricht und da er sich noch im Lande
aufhielt, würde er sich auch um den Rücktransport kümmern. Toll!
Stopp...mir
ist gerade einer der vielen Witze eingefallen:
Am
10jährigen Hochzeitstag sagt ein Ehemann zu seiner Frau, dass er ihr
ein Geständnis machen muss:“ Ich bin farbenblind“, offenbart er
ihr. Darauf antwortet die Ehefrau, dass auch sie etwas beichten will,
dann bekennt sie: Ich bin nicht aus „Gotha“ sondern aus „Ghana“.
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