Freitag, 10. April 2015

Stromboli – Auszeit auf dem Vulkan (von Milena Bögel)

Trudele durch die Welt. Sie ist so schön. Gib dich ihr hin und sie wird sich dir geben.
Kurt Tucholsky – Die Kunst zu reisen.
Beeindruckt, euphorisch und vielleicht auch ein bisschen ehrfürchtig stehen wir fast 1000 Meter über dem nächtlichen Meer auf dem Gipfel des Stromboli. Der Wind pustet, die Sterne funkeln über uns, das Meer glitzert unter uns. Und die Unaufhaltsamkeit der sprühenden, glühenden, zischenden und klirrenden Lava lässt uns staunen. Die Begeisterung über die unaufhörliche Kraft der Natur ist stärker als unsere Erschöpfung und wir freuen uns gleichzeitig an der unbändigen Schönheit und an der Befremdlichkeit dieses Spektakels. Ein Naturschauspiel das seit 2500 Jahren unaufhörlich existiert, ohne jedes Zutun des Menschen. Ein Moment Magie.
Eine Auszeit auf einem Vulkan zu nehmen ist speziell, ja. Allerdings kämpft das Bewusstsein in unserer schnelllebigen Welt zunehmend ums Überleben. Es kann sich nicht zufrieden geben mit dem vom Menschen Gemachten oder es ist überreizt vom permanenten Zuviel in ein und demselben Moment. Und dann zieht es uns vielleicht dahin wo der lebendige Kreislauf einfach existiert. Wo Einfachheit die einzige Substanz ist, die wir aufnehmen können. Wo die Uhren anders gehen und der Berg den Rhythmus vorgibt. Auf den aktivsten Vulkan Europas, der mitten im Tyrrhenischen Meer ungefähr alle halbe Stunde seine Lava mit Nachdruck Richtung Himmel schickt – nach Stromboli.
Der Weg nach Sizilien ist mit einem kurzen Flug überbrückt. Der Bus bringt uns von Catania mit ständigem Blick auf das Meer an den Hafen. Und als die Fähre in Milazzo ablegt, wissen wir, dass jetzt die Natur in den Mittelpunkt rückt. Die Landschaft wird zur Quelle der Inspiration, wird zum Partner, zum Verbündeten. Keine Panoramatapete. Sondern Feuer, Wasser, Luft und Erde sind für die kommenden sieben Tage der Mittelpunkt unseres Alltags. Die vier Elemente und wir mittendrin. 
Der eine mag sagen, so eine kleine Vulkaninsel klingt spannend, wird aber schnell langweilig. Mag sein. Doch wer nicht nur das schnelle Highlight sucht, bekennt: Mut zu Muße. Hier, wo die Stille hörbar wird. Wo es für die Einheimischen selbstverständlich ist mit IDDU – mit IHM - dem Berg wie mit einer Respektsperson zusammenzuleben. Wo es irgendwie Internet gibt und das Handy doch nicht überall Empfang hat. Wo zwischen schwarzem Lavagestein und weißen Würfel-Häusern die Blumen bunt und überbordend blühen. Wo man sich zu Fuß, per Fahrrad mit der Vespa oder der Ape, dem Dreirad, durch die engen Gassen schlängelt. Wo die Sonne am schwarzen Strand gleich doppelt wärmt. Wo im 400 Seelen-Dorf jeder jeden kennt. Wo Tradition und Moderne friedlich koexistieren. Wo Tagestouristen aus aller Welt das Highlight abhaken und mit ein paar Postkarten, Eindrücken und bunten T-Shirts nach wenigen Stunden die Insel wieder verlassen. Wo beim Aperitivo an der kleinen Piazza bei „Ingrid“ mit Freunden und Bekannten der Moment wie nebenbei gefeiert wird. Wo nur Mond und Taschenlampe den abendlichen Weg beleuchten. Wo die Schiffe nicht ankern können, wenn der Windgott Äolus mit vollen Backen pustet. Wo die Tage dahin plätschern zwischen Aktivität und dolce far niente – dem süßen Nichtstun. Und nicht zuletzt HIER: an dem Ort, dem Forscher, Wissenschaftler, Aussteiger, Reisende und Künstler freiwillig ihre Zeit widmen.
Denn wir sind hier zu Gast weil es schön ist: Zeit zu haben, den Tag mit Entspannungsübungen am Strand zu beginnen. Einen philosophischen Gedanken mit in den Tag zu nehmen. Den Vulkan Schritt für Schritt zu erwandern. Ihn vom Boot aus zu erkunden. In Originalkulisse den Film „Stromboli – Terra di Dio“ mit Ingrid Bergmann anzuschauen - der Film, mit dem das heutige Leben in den 1950er Jahren auf dem Vulkan begann. Mit der Sonne im Gesicht und dem dampfenden Gipfel im Rücken, im Meer zu baden. Den warmen Sand unter den Füßen zu spüren. Zeit zum Lachen, zum Reden, zum Schweigen zu haben. Das gute sizilianische Essen zu genießen. Den symmetrischen Kegel Stromboli auch einmal Richtung Salina zu verlassen, um die grüne Nachbarinsel zu erkunden und zu sehen, zu welchem Film diese Insel inspirierte. Weil es schön ist, sich eine Woche Zeit zu schenken, damit die Uhren wieder im eigenen Rhythmus gehen können. Komfortabel die Einfachheit zu genießen und die Natürlichkeit wirken lassen zu können.
Denn in unserer modernen Welt sitzen wir zu häufig im Büro zwischen Bergen aus Dokumenten, Informationen und Meetings. Unser Alltag ist voller Anforderungen, Tempo und Gleichzeitigkeiten. Diese Reise auf den Vulkan in Verbindung mit Wandern, Entschleunigung und Einlassen auf den Inselrhythmus holt uns zurück in den Moment und lässt uns auf beiden Füssen stehen. Es bedarf nicht viel um Glück zu spüren. Die wirklich wichtigen Dinge sind meistens nicht kompliziert, sie sind einfach. Oder frei nach Marcel Proust: die eigentlichen Entdeckungsreisen bestehen nicht (nur) im Kennenlernen neuer Landstriche, sondern darin, Dinge mit anderen Augen zu sehen.

Und so schließt sich nach einer Woche der Kreis. Das Schiff bringt uns nach Sizilien zurück. Der Bus nach Catania, wo wir den letzten Abend dieser Reise verbringen – in der quirligen Metropole am Fuße des Ätna, dem großen Bruder des Stromboli. Umgeben vom bunten Treiben der Großstadt, umgeben von der reichhaltigen barocken Schönheit der aus Ätna-Lava errichteten Gebäude. Den Geschäften, den Restaurants, dem hupenden Verkehr. Die Lebendigkeit der sizilianischen Hafenstadt bringt uns zurück in das Tempo und in die Errungenschaften der heutigen Welt.

Und mir wird klar - es ist ein Privileg wählen zu können. Es ist ein Geschenk, den Weg zu kennen. Denn der Berg braucht die Menschen nicht. Wir Menschen aber brauchen den Berg.

Milena Bögel www.vulkanwandern.com

Mehr Infos zur Reise auch hier: http://www.travel-and-personality.de/italien/erlebnisreisen/stromboli-auszeit-auf-dem-vulkan/STRO

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