Freitag, 15. Mai 2015

Grönland - Eine Winterreise (Reisebericht von Mario Hecktor)

"Als Reiseleiter habe ich Grönland schon mehrfach im Sommer bereist und bin immer begeistert zurückgekehrt. Diese unglaublich wilde Landschaft hat eine große Anziehung für mich. Die Weite, das omnipräsente Meer, das Kalben der eindrucksvollen Gletscher. Wahnsinn. Ich habe die Herzlichkeit der Inuit zu schätzen gelernt und bin stets gerührt, weil ich wieder und wieder mit offenen Armen empfangen wurde.
Die Begeisterung für diesen Flecken Erde führt endlich auch zur Planung und Realisierung einer Winterreise nach Tasiilaq.
Aufregend war es schon im Vorfeld, als ich die zusätzliche Winterausrüstung besorgt habe. Man wusste ja, es kann auch mal kalt werden ...
Die Aufregung nahm zu, als es endlich los ging. Zunächst Flug über Kopenhagen nach Keflavik. Dann sollte es weiter gehen von Reykjavik über Kulusuk nach Ort der Sehnsucht - nach Tasiilaq. Doch Stürme über Island verzögerten bereits den Anflug auf Island und verhinderten gar am nächsten Tag den Weiterflug nach Grönland. Was tun? Die Stimmung wollte nicht richtig ansteigen, Reykjavik ist ein toller Platz, doch wer wilde Natur und meterhohen Schnee im Kopf hat, ist nur begrenzt aufnahmefähig für die zweifelsfreien Schönheiten von Island. Es sollten zwei zähe Tage werden, die wir mit Ausflügen zum Meer und Besichtigungen in Keflavik gestalten konnten. Der Sonntag wäre zwar ein ruhiger Flugtag gewesen, doch in Kulusuk hatten sie einfach dienstfrei … auch mal was…
Am Montag stieg nun die Spannung, ein Anruf am Morgen – zwischen Hoffen und Bangen – gab uns grünes Licht. Endlich, Koffer ins Auto und auf zum Flughafen, der Flug sollte zur Mittagszeit starten. Am Flughafen angekommen trafen wir auf andere „Gestrandete“. Es gab noch andere Gruppen, die sich auf dieses Erlebnis gefreut hatten und ebenso wie wir ausharren mussten. So erfuhrt vom Reiseleiter einer französischen Gruppe, dass sie bereits eine Woche in Island festsaßen und nun endlich starten konnten. Wahnsinn, und wir waren schon nervös, als uns zwei Tage Wartezeit „aufgebrummt“ wurden. Aber jetzt waren wir alle extrem euphorisch, wussten unser Glück zu schätzen, wenn man bedenkt, dass es sogar Gruppen gab, die leider ihre Reise komplett absagen mussten, nachdem ihre Flüge abgesagt wurden … da waren wir ja richtige Glückskinder …
Endlich ging es los, das Wetter spielte mit und die Begeisterung war riesig als wir uns der Küste von Ostgrönland näherten, wo die Sonne bereits die Landschaft und die Packeisformation in glänzendes Licht getaucht hatte. Welche ein Ausblick, wir waren ergriffen von der Schönheit. Nur noch einen Moment Geduld, dann setzten wir auf. Hurra, wir waren schließlich gelandet. Allerdings wurden wir noch einmal auf die Probe gestellt, da sämtliche Weiterflüge mit dem Hubschrauber durcheinander gewirbelt waren. Alle Buchungen wurden neu aufgesetzt und so kamen wir mit dem Großteil unserer 8-köpfige Gruppe erst um 18h in Tasiilaq an, aber alles Warten hatte sich gelohnt. Der Ort zeigte sich von einer wunderbaren Seite, rötlich gefärbter Abendhimmel beschien die Bühne für unsere noch kommenden Exkursionen.
Bei der Ankunft im Roten Haus wartete Robert Peroni, der Leiter des Hauses, schon sehnsüchtig auf uns. Das erste Abendessen war ein Genuss und ließ das vielbeschworene „Cross-over“ von grönländischer und südtiroler Küche auf aller Zungen wahr werden. Robbe, die hier von den Jägern noch gejagt werden darf, und leichtes Gemüse mit Reis … vorzüglich. Wir genossen das Zusammensein und waren nochmal hellwach als wir am ersten Abend für einen kurzen Moment schon zu Polarlicht-Jägern wurden. Der rechte Erfolg wollte sich noch nicht einstellen, bei unserem Bemühen, das Spektakel am aktischen Nachthimmel fotografisch einzufangen. Doch es sollten noch imposante Erscheinungen geben, die alle Gäste im Haus verzückt ins Bett fallen ließen.
Am nächsten Tag ging es zum ersten Mal auf Wanderung. Wir sammelten uns nach dem Frühstück und „kämpften“ uns durch die Vielzahl von Möglichkeiten, das richtige Paar von Schneeschuhen unterzuschnallen. Dann ging es los, der Polarstrom war unser Ziel und als wir ihn erreichten, stach ein mächtiger Eisberg ins Auge, der sich in die Einfahrt zum Kong Oscar Fjord gelegt hatte und einer Trutzburg gleich den Zugang fast vollständig versperrte. Grandios diese Aussicht und das Erlebnis, der Natur nun so nah sein zu können. Wir ließen es am Nachmittag langsam angehen und frönten Kaffee und Eis in „Gerdas“ kleiner Kaffeestube, die mehr einem „Tante Emma Laden“ gleicht. Gerda ist mal ein Mann gewesen und tritt heute in Frauenkleidern vor ihre Gäste. Ihre Heimat ist Dänemark, wo man mit solchen Lebenswegen sehr entspannt umgeht, die Inuit mussten sich erst an sie gewöhnen. Heute ist sich jedoch nicht mehr vom Ort wegzudenken und ist stets ein Quell von höflicher und zuvorkommender Art. Zudem kümmert sie sich um Kinder aus schwierigen Familien. In Grönland keine geringe Anzahl und eine nie enden werdende Arbeit, um helfend zu wirken.
Wir freuen uns schon auf das Abendessen und erst recht auf die nahende Dunkelheit, denn unser Interesse an Polarlichtern war enorm. Wir wurden fündig und es wurden schon bessere Aufnahmen, als eine Nacht zuvor. Doch so richtig zufrieden waren wir noch nicht.
Der nächste Tag war einem Ausflug mit Hundeschlitten vorbehalten. „Zieht Euch warm an,“ hieß es schon vorher. Und es war auch bitter nötig. Wir zogen dick angezogen durch den Ort und schwitzten schon fast wieder, als wir am Startpunkt ankamen. Vier Gespanne mit je 10-14 Hunden warteten schon ungeduldig auf uns. Die Hunde mussten man nicht erst motivieren. Die Grönlandhunde sind wahre Laufwunder und zogen uns, den Führer und je zwei Gäste, über den eisbepackten Fjord hinüber zu einem Tal mit weitläufigen See. Wir fuhren gut 1 ½ Stunden bis zum Ende des Sees und waren froh über diesen Stopp. Der kalte Wind stieb ins Gesicht und die Füße waren dankbar für Bewegung, auch wenn das gewählte Schuhwerk für echte Minustemperaturen ausgelegt war. Es gab Tee und auch die Hunde bekamen Ihre Zuwendung, insbesondere von uns, denn wer möchte nicht mal so einen knuffigen Grönlandhund kraulen. Ein Gespann war schon vor der Rückfahrt in Alarmbereitschaft und jagte los, fast ohne den Führer … der im letzten Moment noch das Seil einfangen konnte und erst scheinbar hilflos weggezogen wurde, bis er schließlich den Schlitten zum Stehen brachte. Glück gehabt … wir malten uns schon aus, wo wir ihn wiedertreffen würden. Es war eine genüssliche Heimfahrt und wir ließen die Winterlandschaft erneut langsam an uns vorbeiziehen, immer begleitet von dem guten Zurufen des Mashers, der seine Hunde damit antrieb.
Nach der Rückkehr waren wir etwas ausgekühlt, aber dennoch glücklich über diese tolle Fahrt. Die Sauna ließ am Abend den Körper wieder auftanken, die Polarlichter ließen diesmal auf sich warten, verdeckt war diesmal die Sicht durch die Wolken. Aber es sollte noch werden.
Für den drauffolgenden Tag hatten wir uns vorgenommen, den Fjord leer zu fischen und mit reicher Beute heimzukehren. Wir schnappten uns Viggo, der uns im Sommer als Bootsführer zur Seite steht, und der uns jetzt das Eisfischen beibringen wollte. Es war für ihn und uns ein glückloses Unterfangen. Weder konnten wir an den Löchern, die wir ins Eis des Fjords schlugen wahre Beute machen, noch konnten wir länger am Eisloch ausharren, wie die Inuit es jederzeit schaffen. Diese stoische Ruhe ist uns an dieser Stelle nicht gegeben, leicht fröstelnd mussten wir alsbald abbrechen. Es war uns klar, dass wir in früheren Tagen wohl oder übel mit leerem Magen ins Bett gefallen werden. Die Ehrfurcht vor der Gelassenheit und Zielstrebigkeit der Einheimischen, in dieser oft so menschenfeindlichen Umgebung zu überleben, war schon wieder gewachsen. Wir zogen mit unserer Ausrüstung nahe der Eiskante heim und erklommen in einer kleinen Bucht wieder das Land. Nachdem wir tagsüber schon keine Meeresfrüchte einheimsen konnten, kredenzte uns die Küche abends Leckereien aus dem Meer, diesmal war es Dorade, wie köstlich. Und dann hatte das Polarlicht seinen großen Auftritt. Der Himmel war in dieser Nacht sternenklar und es wurde überwältigend. Jeder im Haus war ergriffen von dem Farbspiel am Firmament, die Objektive der hervorgeholten Kameras zuckten in der Dunkelheit und ergriffen konnten sich unsere Augen nicht lösen von der Brillianz, die uns auch mit bloßem Auge staunen ließ. Ganze Serien wurden geschossen und anschließend die Adressen ausgetauscht, um die schönsten Eindrücke mitteilen zu können. Als hätten wir es geahnt, hatten wir bereits zuvor nach dem Abendessen noch Berichte gelesen, wie wir das Licht am besten einfangen könnten, wie die Kamera einzustellen sei. Ein Wink des Schicksals folgend, saugten wir die Information auf, um sie dann einige Zeit später tatsächlich in die Tat umsetzen zu können. Dank modernster Technik wussten wir bereits um die Qualität unserer Aufnahmen und konnten somit besonders selig einschlafen.
Unser letzter Tag in Tasiilaq – das Wetter schlug nochmal Kapriolen. Nach einem harmlosen Start in den Tag kamen kräftige Winde auf und ließen unsere Schneeschuhtour ins Blumental zu einer kleine Expedition werden. Die Natur zeigte uns ihre kalte Schulter – sollten wir doch morgen ruhig heimfahren, wir sollten nochmal spüren, was sie davon hielt. Schnee fegte uns ins Gesicht, die Brillen beschlugen, ein Vorwärtskommen unmöglich gemacht. So kämpften wir uns zurück in den Ort und verkrochen uns stattdessen im historischen Museum, dass vor einiger Zeit in der alten Kirche untergebracht wurde. Erik, der Leiter des Museum, erzählte uns mit großer Leidenschaft von der früheren Besiedlung und den folgenden Auswüchsen in dieser abgelegenen Region, die er manchmal auch, ob der zahlreichen Schwierigkeiten, „arktisch Afrika“ nennt, nicht ohne die Ironie in der Stimme erkennen zu lassen. Trotz oft verspürter Verzweiflung konnte er seinen Ort dennoch nicht verlassen, er hängt an „seinem“ Museum.
Wir schoben bald heim. Robert Peroni hatte versprochen, Anta Kouidze einzuladen, einen Schamanen der alten Schule. Er war am Nachmittag im Roten Haus und führte einen Tanz auf, der früher zwischen zwei Kontrahenten einen Zwist ausräumen sollte. Wer das Publikum am intensivsten zum Lachen bewegen konnte, gewann den besonderen „Zweikampf“. Sepp, ein weiterer Reiseleiter, durfte den Kontrahenten mimen – Anta und wir hatten unsere große Freude daran. Wer gewann? Nicht schwer zu erraten, oder? :-) Auch die Damenwelt war begeistert, weil sie Anta in besonders flirtender Weise in das Spiel mit einbezog. Es war ein schöner Ausklang unserer Tage hier in Tasiilaq.
War dieser Tag noch stürmisch und der Himmel zugezogen, was auch die Ängste schürte, eventuell Probleme beim Rückflug zu haben, so „brannte“ am folgenden Tag die Sonne wieder von oben, strahlendblau war der Himmel. Dennoch stand die Abreise auf wackligen Füßen, denn in Island waren wieder schlechte Bedingungen, die Flieger kamen nicht zu uns nach Grönland.
Aber wir hatten alle Glück und konnten am Nachmittag in zwei Schüben wohlbehalten nach Island zurückkehren. Mit einem kurzem Aufenthalt auf der Insel des Feuers endete anschließend unsere Reise.
Trotz der Kürze waren es großartige und intensive Tage in Tasiilaq und wir alle wissen eins … wir werden wiederkommen, ob im Sommer oder Winter. Wir sind schon längst infiziert von diesem wunderbaren Flecken Erde!"

Infos zur Reise: http://www.travel-and-personality.de/Groenland/erlebnisreisen/gr%C3%B6nland%20winter/GROWI




Alle Fotos: Mario Hecktor

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