„Mitten in den USA liegen die indianischen Reservationen wie kleine
Welten für sich: Mit anderen Werten, anderen Zielen und Hoffnungen.“
Diese Ansage war für mich ein Hinweis. Ich steckte gerade in einer Zeit,
in der ich versuchte herauszufinden, welche Werte mir persönlich
wichtig sind, um meinen Lebensweg zu verfolgen. Eigentlich ist alles in
bester Ordnung. Es gibt Wohlstand, die Möglichkeiten das zu machen was
ich will und dennoch frage ich mich, welche Richtung ich eigentlich gehe
und ob ich mich im Dschungel dieser zu schnellen Welt nicht verlieren
kann. Als ich das erste Mal von einer Reise zu den Indianern in Amerika
hörte, kam mir natürlich sofort der Gedanke an „Der mit dem Wolf tanzt“
in den Sinn. Mehr hatte (trauriger Weise) bisher nicht von den
Ureinwohnern erfahren. Ich wusste zwar, dass sie ein Schicksal eingeholt
hat und das sie von den „weissen“ Siedlern unterdrückt wurden aber
dieses Beispiel gab es für mich sehr häufig in der Welt und auch bis zum
heutigen Tag. Natürlich dachte ich auch an die typisch freiheitliche
Filmkulisse in der die Indianer auf ihren Pferden durch die Prärie
reiten, wilde Heulrufe ausstoßen und in ihren Tipis leben. Doch niemand
hatte mich aufgeklärt, welch tiefe Verbundenheit die Indianer mit der
Erde haben, worüber sie nachdenken und wie sie die Welt von heute sehen.
Es reizte mich zeitgleich mit der Idee überhaupt in die USA zu reisen
und zwar nicht in die Megacities, sondern dorthin wo alles
begann....zurück zum Anfang.
Die Flugstunden quälten mich irgendwann. Wann taucht endlich der nächste
Kontinent auf? Grönland haben wir schon überflogen. Schlafen kann ich
auch nicht. Die Bordunterhaltung ist unendlich langweilig. Ich hatte ein
kleines Buch dabei. „Bleib auf deinem Weg“, ein Buch über indianische
Weisheiten. Also las ich darin.
Mit jeder Zeile stellt ich mir vor, wie die Welt damals wohl ausgesehen
haben muss. Der Broadway in New York war früher mal ein Trampelpfad.
Überall regierte die Natur. Fruchtbare Flussebenen, brachiale
Wasserfälle und trockene, heiße Steppen. Die Natur bot einen
unermesslichen Reichtum und versorgte Mensch und Tier. Für Europa war
dies ein unentdecktes Land. Sie wussten nicht das zu jener Zeit dort
schon 500 Stämme lebten. Die Stämme lebten von der Jagd, welche für sie
heilige Bedeutung hatte. Es wurde nie mehr gejagt als nötig war. Tiere
und alles andere sind Teile der Welt, in welcher sie in einer
Gemeinschaft leben. Die Vorstellung klingt wildromantisch, wie einfach.
Ein hartes aber ehrliches Leben in tiefer Verbundenheit mit der Erde.
Wie es heute dort wohl ist?
Wir landen. Endlich angekommen in South Dakota, Rapid City. Noch total
übermüdet nehme ich den Transfer zum Hotel und verkrümel mich in mein
Hotelzimmer. Bereits morgen geht es in die Bad Lands zu den Lakota. Die
Begegnung kann beginnen.
Nach dem Frühstück geht es los. Wir fahren durch unglaublich bizarre
Formationen der Landschaft, welche durch Erosion entstand bis wir das
Reservat erreichen und unsere Unterkunft beziehen. Für die nächsten Tage
werden wir nun hier bleiben und die Menschen kennenlernen, die als
Erste in diesem Land lebten. Sofort werden wir freundlich begrüßt. Trotz
aller Schicksale werden wir mit einem Lächeln begrüßt und herzlich
aufgenommen. Am Abend essen wir mit unseren indianischen Gastgebern und
kommen ins Gespräch. Für die nächsten Tage gibt es eine Vielzahl von
Möglichkeiten, egal ob man den Trommelbau lernen will oder das Lakota
College besuchen möchte. Ich denke ich werde einfach den Kontakt zu den
Menschen suchen. Darum bin ich hier.
Am nächsten Morgen verteilt sich unsere Gruppe. Jeder hat etwas anderes
vor. Ich sehe in der Nähe eine kleine Koppel mit Pferden und gehe
hinüber. Dort steht ein Mann der gerade die Pferde versorgt. Wir kommen
ins Gespräch. Er erzählt mir, dass Tiere schon immer wichtiger für die
Indianer waren, als der Mensch selbst. Vor allem der Adler war heilig,
denn er ist dem Himmel näher, als alle anderen. Er ist ein Zaubervogel
und verleiht magische Kräfte. Deswegen trug man früher den gefiederten
Kopfschmuck. Aber den musste man sich erst mal verdienen. Für die
Indianer macht es keinen Unterschied, ob das Tier groß und stark oder
klein und zerbrechlich ist. Wir alle gehören einer Gemeinschaft an und
teilen Land, Luft und Wasser. „Und die Pferde?“, meinte ich. „Die
Pferde“, so sagt er. Pferde haben die ersten Europäer mitgebracht und
uns zum Tausch angeboten. Wir waren fasziniert von der Effektivität
dieser Tiere und das man sie reiten kann. Sie wurden der
Verkaufsschlager. Indianer sind unheimlich neugierig und damit haben uns
die „Weissen“ wirklich gekriegt. Sie hatten jedoch ein Problem. Immer
wieder sind Pferde aus ihren Gehegen ausgebrochen und sind verwildert.
Daher kommt auch der Begriff „Wilder Mustang“.
Ich fand es unheimlich interessant diesen Worten zu lauschen und fragte,
ob es nicht jemanden gäbe der mir mehr erzählen könne über das Leben
damals. Mein neuer Freund sagte, dass ich im Reservat jeden fragen kann.
Jeder wird dir mit Freude Auskunft geben.
Ich ging zurück zur Unterkunft und traf einen Mitarbeiter des Hauses an.
Er fragte mich, ob alles in Ordnung sei und warum ich nicht bei den
Offroadtouren oder auf einer Wanderung bin. Ich sagte, dass ich mehr
über die Lebensweise lernen möchte und nicht mit dem Wagen durch die
Gegend fahren will. Er sagte, dass er gleich Zeit habe und wir einen
Kaffee trinken können. Ich willigte ein.
Wir setzen uns zusammen und tranken Kaffee. „Was möchtest du denn wissen?“ fragte er mich.
Ich sagte vorsichtig, was gerade in meinem Leben passiert und das ich
Antworten suche. „Oh Antworten“ sagte er mir. „Antworten sind eine
vergebliche Suche. Es ist wichtig auf seinem Weg zu bleiben. Egal wie
schwer und lang dieser Weg manchmal ist. Wenn ein Sturm in deinem Leben
auftritt, dann will er dich nicht umwerfen, sondern lehren stark zu
sein. Und stark sein bedeutet an einem weiteren Herzschlag und einem
weiteren Sonnenaufgang festzuhalten, denn jeder neue Tag bringt Hoffnung
mit sich. Weisst du, bereits meine Urahnen brachten unserem Volk bei
stark zu sein. Von Grund auf sind wir friedliche Stämme gewesen. Auf der
anderen Seite waren wir immer für Kriege zu haben aber wir alle
verfolgten immer ein gemeinsames Ziel und mit diesem Traum, diesem Ziel
werden alle Menschen geboren. Frei zu sein. Meine Urahnen lebten ein
hartes aber einfaches Leben. Sie waren genau so bemüht Büffel zu jagen
um unsere Stämme zu versorgen, als auch 6 Pfeile pro Minute präzise
abzufeuern, wenn es eine Schlacht gab. Dies war ihr Alltag. Die
alltäglichen Fragen, die Menschen heute plagen, hatten diese Menschen
nicht. Sie kannten kein Geld oder Besitztum. Sie befragten die Geister,
suchten Antworten im Himmel, da dort der Schlüssel der Weisheit liegen
soll.
„Und denkt ihr heute auch noch so?“ Fragte ich. „Im Grunde ja. Wir sind
nicht von selber in diese Situation geraten in welcher wir heute
stecken. Die Reservate heute zählen zu den ärmsten Regionen Amerikas.
Dies war nicht immer so. Wir waren einfache Nomaden und zogen durchs
Land. Mit der Ankunft der ersten Europäer änderte sich dies. Sie kamen
zunächst in friedlicher Absicht und konnten unsere harten Winter kaum
überstehen. Wir halfen Ihnen und versorgten sie. Dafür gaben sie uns
merkwürdige Dinge aus Europa, allerdings auch Pferde. Viele Europäer
kamen. Die Spanier zogen gewaltsam durchs Land, Franzosen suchten den
Handel, Engländer wollten aus den eigenen politischen Fängen fliehen und
hier ein neues Leben beginnen. Doch was wir nicht wussten war, dass sie
noch etwas mitbrachten, was wir nicht sehen konnten und das waren
Krankheiten. Krankheiten rafften unsere Camps dahin und bald kam unsere
Welt aus dem Gleichgewicht. Aber ich muss gleich los. Was hälst du
davon, wenn wir die Tage nochmal sprechen?“ „Ja, sehr gerne.“ sagte ich.
In den nächsten zwei Tagen fuhren wir zu einer Büffelranch und erlebten
die Tiere aus nächster Nähe. Kaum zu glauben das man früher mit ihnen
als Nahrungsquelle lebte. Es muss riesige Herden gegeben haben. In den
späteren Konflikten töteten die „Weissen“ mit Absicht eine gigantische
Vielzahl der Tiere, nur damit die Nahrungsquelle versiegt. Heute leben
die Tiere geschützt im Reservat. Wir unternahmen ebenfalls lokale
Wanderungen und ließen die Seele baumeln. Die Landschaft zieht sich in
endlose Weiten und bringt einen gewissen Sog mit sich, welcher mich
antreibt immer tiefer in das Bildnis der Schöpfung zu laufen. Mir wird
klar, dass ich immer weiter laufen könnte, ohne anzukommen. Vielleicht
ist das eine Antwort auf meine Fragen. Wir werden wohl nie ankommen. Es
wird immer etwas geben, was uns voran treibt.
2 Tage später treffe ich meinen Bekannten aus dem Reservat wieder. Wir
sitzen zusammen vor seinem Haus und beobachten das Leben auf den
Straßen. „Mir fällt auf, dass es naja, etwas ärmer ist als woanders?
Darf man das so sagen?“ sagte ich. „Ja das kann man so sagen. Es kommt
darauf an wie du Armut definierst. Es gibt materielle Armut, wovon wir
hier betroffen sind, denn die Reservate werden nur notdürftig versorgt.
Viele haben keine gesunde Ernährung, weil es Nahrungsrationen von Fett,
Mehl und Zucker gibt. Die Holzhütten oder Wohnwagen sind oft nicht
beheizt, weil es sich keiner leisten kann. 80% der Menschen gehen keiner
geregelten Arbeit nach. Viele haben nur Gelegenheitsjobs oder betreiben
Kunsthandwerk. Auf der anderen Seite gibt es auch geistige Armut, wo
wir der Überzeugung sind, dass es diese gibt und zwar bei denen, die
unsere Gesetze entwerfen und uns in die Reservate getrieben haben.“
„Wie kam es, dass die Stämme so zerrüttet wurden und ihr Land verloren haben?“ fragte ich.
„Weisst du mit all dem Ärger den wir spüren und selbst wenn wir ihn
aufschreiben würden, könnten wir die Welt nicht ändern. Wir haben eine
Verbindung zur Welt, die „weisse“ Menschen nicht haben. Als immer mehr
Europäer kamen war es gerade Zeit für einen großen Trend in Europa. Alle
wollten Pelze und wir konnten diese besorgen. Als Tausch bekamen wir
dafür Gewehre. Die Irokesen haben diese damals angenommen und begannen
nicht nur Biber zu jagen, sondern löschten auch andere Stämme aus. Es
ging soweit, dass sie als Soldaten für die englische Krone eingesetzt
wurden. Denn als die neuen Siedler ihre „Freiheit“ schützen wollten, kam
ihnen die Politik in die Quere. Ich mein, du kennst die Geschichte vom
Unabhängigkeitskrieg und so weiter. Die Irokesen waren so versessen
darauf zu kämpfen, dass sie nicht bemerkten, dass sie auf Seiten der
Krone nicht für Unabhängigkeit, sondern für Abhängigkeit kämpften. Sie
wussten irgendwann nicht mehr was sie taten. Mit der Unabhängigkeit
kamen immer mehr Europäer, die Land für sich beanspruchen wollten und
somit sahen sie in uns einen Störfaktor. Sie wollten unter sich bleiben.
Sie zogen Grenzen und daraus wurden die Reservate. Das war in 1838.“
„Aber Amerika ist doch groß.“ fügte ich hinzu.
„Ja natürlich. Aber nach Ankunft im Osten waren die „Weissen“ wie ein
Virus. Sie beschritten ihren Weg nach Westen, ließen sich nieder und
fanden irgendwann Gold. Goldsucher kamen und mit ihnen eine spätere
Verbindung für die Züge. Wir waren also auf der Flucht im eigenen Land
und fanden schließlich hier Zuflucht. Und hier sind wir bis Heute. Sie
zwangen uns mit ihrer Übermacht unser Leben aufzugeben und eingepfercht
wie Vieh zu leben. Es gab viele Gespräche mit den „Weissen“. Wir gaben
ihnen zu verstehen, dass wir ihre Ansichten nicht teilen können. Wie
können wir Land, Luft und Flüsse verkaufen, wenn sie nicht uns und
eigentlich niemandem gehören? Das Wasser in Flüssen ist nicht nur
Wasser. Es ist das Blut unserer Vorfahren. Flüsse sind unsere Brüder,
Das Murmeln des Wassers ist die Stimme unserer Vorfahren. Wenn wir das
Land abgeben, muss das Heiligtum bewahrt werden. Denkst du die „Weissen“
könnten das? Wenn sie unsere Büffel töten, töten sie auch uns. Wenn sie
alle Tiere töten, töten sie auch sich selber. Denn alles ist
miteinander Verbunden. Unser Gott ist euer Gott. Es gibt eine gemeinsame
Bestimmung. Vielleicht sind wir doch alle Brüder. Doch all dies half
nicht “
„Unglaublich.“ Sagte ich.
„Wenn du es schaffst, dann fahr nach Montana zum Little Big Horn. Dort
haben wir es den „Weissen“ nochmal richtig gezeigt.“ sagte er mit einem
Lächeln.
„Ich versuchs. Aber ihr lebt schon noch euren kulturellen Bestandteil aus, oder?“
„Natürlich. Eine unserer Lebensformen ist es zu tanzen. Wer tanzt der
bleibt gesund. Wir feiern unsere Identität und gewinnen sie zurück. Wir
sorgen dafür, dass sie nicht untergeht. Genauso wie unsere Sprache
„Lakota“. Sie ist uns wichtig und wird an unserem Kollege gelernt.
Unsere Worte sind wie die Sterne, sie gehen nicht unter.
Ich blickte meinen Gesprächspartner lange an und bedankte mich dann für das Gespräch. Dies muss ich erst mal verdauen.
Diese Nacht schlafe ich kaum. Ich frage mich, wie ich diese Worte
übertragen kann. Es klingt grausam und gleichzeitig wieder voller
Weisheit. Wo ist der Nutzen, wenn man Gier und Geld folgt? Habsucht und
Besitz. Wieso reicht uns Menschen nicht der Bestand den wir haben für
Glück?
Am nächsten Tage fahre ich weiter. Ich verbringe einige Tage unterwegs.
Blicke das „Crazy Horse Monument“ an und gedenke dem mutigen Krieger in
der Schlacht gegen den Eindringling. Crazy Horse war es, der sich in
1876 General Custer in den Weg stellt in einer Schlacht zugunsten der
Indianer.
Ich ziehe weiter bis ich die Reservation der Crow erreich, schließlich
in Montana ankomme. Wieder sind Tage vergangen und ich bin beim Anblick
dieser einmaligen Landschaft wieder meditativ, kontemplativ versunken.
Hier in der Weite des Westens wo der immer wechselnde Horizont seine
Farbenpracht auf dem Boden meiner Schritte widerspiegelt stehe ich mit
beiden Beinen im Leben. Die Zeit und die Gespräche lehren mich, dass ich
erreicht habe, was es bedarf, um mein Leben zu bestreiten. Wenn ich
weitergehe, wird sich in Zukunft zeigen was passiert. Wenn ich stehen
bleibe, wird nichts passieren, da schon alles gefestigt ist. Doch wenn
ich weitergehe mit der Sucht nach Mehr, werde ich immer auf der Suche
nach Antworten bleiben. Denn der Hunger nach dem Nutzlosen ist
unstillbar. Wenn ich mein Leben simpel gestalte und sei es auch nur ein
wenig, dann würde ich diese Gier nicht verspüren. So wie die Indianer
damals. Ich werde weiter gehen, denn es geht immer weiter.
Am Abend vor meiner Abreise im Reservat lese ich nochmal in meinem Buch.
Es heisst: „Jeder Schritt und sei er noch so schwer, ist ein weiterer
Schritt in Richtung Gipfel. Und jeder schwächste Schritt in Richtung
Gipfel, in Richtung Sonnenaufgang, in Richtung Hoffnung ist stärker als
der schlimmste Sturm. Bleib auf deinem Weg.“
LINK ZUR REISE: http://www.travel-and-personality.de/usa/erlebnisreisen/Zu+Besuch+bei+den+Lakota+in+den+Wilden+Westen/US-1
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